Was machst du eigentlich?

Wenn du SL bist, hast du eine etwas andere Aufgabe als alle anderen. In diesem Kapitel findest du viele Werkzeuge, die dir diese Aufgabe während des Spiels erleichtern.
Wir haben im Kapitel Die Grundlagen schon ein bisschen über die Aufgaben der SL gesprochen, aber wir wollen noch mal einen Blick darauf werfen, was alles in deiner Verantwortung liegt.

Szenen eröffnen und abschließen

Es ist einer deiner wichtigsten Aufgaben im Spiel, zu entscheiden, wann und wie eine Szene eröffnet und abgeschlossen wird. Das klingt vielleicht nicht wahnsinnig wichtig, aber das ist es: Damit beeinflusst du das Tempo des Spiel ganz maßgeblich. Wenn du die Szene zu früh beginnen lässt, dann dauert es lange, bis ihr zum eigentlichen Punkt der Szene kommt. Wenn du die Szene zu lang laufen lässt, dann zieht sie sich hin und es dauert ewig, bis ihr etwas wirklich Wichtiges erreicht.
Deine Spieler werden dir manchmal dabei helfen, wenn sie unbedingt zum nächsten Teil kommen wollen. Aber sie verheddern sich auch gern im Gefrotzel zwischen den Charakteren oder neigen dazu, sich an unwichtigen Details aufzuhängen. Wenn so etwas passiert, musst du einschreiten und die Szene schneiden, wie in einem guten Film: „Ich denke mal, wir haben aus der Szene jetzt so ziemlich alles rausgeholt, was geht – was wollt ihr als nächstes machen?“
Im nächsten Kapitel Szenen, Sitzungen und Szenarien haben wir noch mehr Ratschläge, wie du Szenen eröffnen und abschließen kannst.

Drama ist besser als Realismus

Bei Fate solltest du nicht unbedingt versuchen, alles immer hundertprozentig folgerichtig zu halten, und dich sklavisch dem Tyrannen Realismus zu unterwerfen. Das Spiel folgt den Regeln des Dramas und der erzählten Geschichte; nutz das zu deinem Vorteil. Es sollte im Spiel nur wenige Momente geben, wo die SCs keine Schwierigkeiten oder Probleme haben, selbst wenn es „realistischer“ wäre, wenn sie mal zur Ruhe kommen würden.
Wenn du dir überlegst, wie es jetzt im Spiel weitergeht, und die plausibelste Antwort darauf ist gleichzeitig relativ langweilig, dann entscheide dich lieber für eine Variante, die mehr Spaß macht, auch wenn sie weniger plausibel ist! Du kannst hinterher immer noch eine Erklärung erfinden, warum das jetzt so passiert ist.

Spiel die Welt und die NSCs

Als Spielleitung ist es deine Aufgabe, dir zu überlegen, wie die Welt und ihre Einwohner auf die SCs reagieren. Außerdem musst du festlegen, wie die Umgebung der Charaktere aussieht. Wenn ein SC eine Probe verpatzt, musst du die Konsequenzen festlegen. Wenn ein NSC-Meuchelmörder versucht, den Freund eines SCs umzubringen, dann entscheidest du, wie er das tut. Wenn die SCs auf dem Markt zu einem Gemüsehändler schlendern, dann legst du fest, wie es ihm heute so geht, was er generell für eine Person ist und welche Waren er gerade anbietet. Du bestimmt, ob es regnet oder ob die Sonne scheint, wenn sich die SCs auf den Weg zu einer dunklen Höhle machen.
Glücklicherweise musst du das nicht alles aus der hohlen Hand improvisieren – es gibt einige Werkzeuge, die dir helfen, eine passende Option auszuwählen. Wir haben im Kapitel Spielgestaltung einen Prozess vorgestellt, der dir einen Haufen Vorschläge und Hintergrundinformationen über das Spiel gibt, das gespielt werden soll. Es gibt Aspekte durch aktuelle oder zukünftige Aufgaben, ihr habt Orte festgelegt, an denen etwas passieren sollte, und es gibt bereits NSCs mit klaren Zielen, die du benutzen kannst.
Wenn du dir überlegst, wie die Umwelt auf die SCs reagiert, dann schau dir ihre Aspekte an und lass dir von ihnen helfen. Wir haben schon im Kapitel Aspekte und Fate-Punkte ausgeführt, dass die besten Aspekte sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben sollten. Das kannst du ausnutzen, indem du die Aspekte ereignisbasiert reizt und so die Dinge ins Rollen bringst. Du erreichst damit gleich zwei Dinge auf einmal: Deine Spielwelt wird lebendiger, weil sie detaillierter und überraschender wirkt, und die SCs stehen im Mittelpunkt der gespielten Geschichte.
Dieser Teil deiner Aufgaben umfasst auch das Spielen der NSCs. Wenn einer von ihnen in einer Szene auftaucht, dann spricht du mit seiner Stimme und triffst alle Entscheidungen für ihn, genau wie es die Spieler für die SCs tun. Du entscheidest, wann die NSCs für eine Aktion würfeln müssen, und du folgst denselben Regeln wie deine Spieler, wenn du wissen willst, welches Ergebnis die Aktion erzielt. Je nachdem, wie wichtig sie für die Geschichte sind, unterscheiden sich deine NSCs allerdings von den SCs.

Lass dir von den Spielern helfen

Du musst dir nicht jedes Detail in eurer Spielwelt ganz alleine ausdenken. Denk daran: Je mehr ihr bei der Gestaltung zusammenarbeitet, umso eher werden die Spieler das Ergebnis interessant finden und damit interagieren wollen – schließlich haben sie es ja selber mit erschaffen.
Wenn ein Charakter einen Aspekt hat, der sich auf etwas oder jemanden in der Spielwelt bezieht, dann lass ihn der Experte auf dem entsprechenden Gebiet sein. Wenn also ein Charakter Narben aus dem Großen Krieg hat, dann bezieh den Spieler immer ein, wenn es um den Großen Krieg geht. „Du siehst, dass der Feldwebel ein Veteranenabzeichen trägt. Das ist ein verdammt seltener Orden, der nur im Großen Krieg verliehen wurde. Sag mal, was musste man damals für einen kranken Scheiß tun, um so ein Abzeichen zu kriegen? Hast du auch eins?“ Manche Spieler werden die Frage an dich zurückgeben, das ist völlig in Ordnung so. Aber du solltest immer wieder solche Angebote machen, damit ihr das Spiel gemeinsam gestaltet.
Spieler können mit einer Aktion einen Vorteil erschaffen. Dieser Aktionstyp ist da, damit die Spieler über ihre Charaktere eigene Details in die Spielwelt einbringen können. Nutz das zu deinem Vorteil, wenn dir gerade nichts einfällt oder wenn du ein bisschen Kontrolle über die Welt abgeben willst. Das funktioniert sehr schön, wenn du die Frage eines Spielers mit einer Gegenfrage beantwortest.

Daniel: „Können wir dieses magische Konstrukt irgendwie zerstören, ohne dass dabei alle sterben, die darin gefangen sind?“
Sabine: „Naja, du weißt, dass das Konstrukt die Lebenskraft der Gefangenen als Kraftquelle benutzt. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, es zu zerstören, wie könnte das aussehen? Ich meine, du bist der Zauberer hier, sag du es mir.“
Daniel: „Hm… vielleicht gibt es einen Gegenzauber, eine Art Sicherheitsmechanismus, für den Fall, dass irgendwas schief geht.“
Sabine: „Ja, das klingt gut. Würfel mal auf Wissen, ob es so etwas gibt.“

Entscheide, wie die Regeln funktionieren

Neben allem anderen musst du auch entscheiden, wie die Regeln funktionieren – was ist in dieser Situation erlaubt, was geht nicht? Hauptsächlich musst du festlegen, wann gewürfelt werden darf oder gewürfelt werden muss, welcher Aktionstyp am besten passt (Überwinden, Angreifen usw.) und wie schwierig die Probe ist. Bei Konflikten wird das häufig kompliziert: Muss jemand einen Situationsaspekt erst überwinden, bevor er etwas anderes machen kann? Ist der Vorteil, den der Spieler gerade erschaffen will, plausibel und stimmig?
Wir haben bereits im Kapitel Aspekte und Fate-Punkte gesagt, dass du diejenige bist, die entscheidet, ob ein Aspekt eingesetzt oder gereizt werden kann. Geh sicher, dass jeder am Tisch verstanden hat, warum du dich so entschieden hast und was gerade vorgeht. Das ist ziemlich einfach, wenn jemand einen Aspekt einsetzt – solange der Spieler erklären kann, warum der Aspekt jetzt gerade relevant ist, geht alles klar. Wenn ein Aspekt gereizt wird, ist das etwas komplizierter, weil du genau erklären musst, welche Komplikationen der Spieler da jetzt gerade akzeptiert.
Im weiteren Verlauf des Kapitels findest du viele Tipps, wie du solche Regelentscheidungen am besten triffst.

Szenarien erschaffen (und fast alles andere auch)

Zu guter Letzt musst du noch alles erschaffen, was den SCs so begegnet und womit sie interagieren. Das sind nicht nur NSCs mit Fertigkeiten und Aspekten, sondern auch die Aspekte, die auf Szenen, Orten und Objekten liegen, und sämtliche Verwicklungen und Herausforderungen, die ein Szenario bei Fate ausmachen. Deine Stichworte und Ideen geben deiner Gruppe überhaupt erst einen Grund, das Spiel zu spielen: Welche Probleme sie angehen, welche Aufgaben sie lösen, wem sie sich in den Weg stellen und was sie durchmachen müssen, um einen Sieg zu erringen.
Dieser Aufgabe haben wir ein eigenes Kapitel gewidmet. Schau dir Szenen, Sitzungen und Szenarien an.

Du bist ein Schiedsrichter, nicht Gott

Die Entscheidung, wie die Regeln ausgelegt werden, liegt zwar bei dir, aber du solltest dich hier eher als „Erster unter Gleichen“ in einem Team sehen und nicht als absolute Autorität. Wenn es nicht klar ist, wie die Regeln ausgelegt werden sollten, bring eine kurze Diskussion in Gang und lass alle zu Wort kommen, statt eine einseitige Entscheidung zu treffen. Meistens wird sich eine Gruppe schon von selbst regulieren – wenn jemand einen Aspekt reizen will, obwohl das gar nicht so recht passt, dann wird das gegebenenfalls ein anderer Spieler ansprechen, noch bevor du es tust.
Du hast also das letzte Wort, wenn es um die Auslegung der Regeln geht, aber das letzte Wort kommt nach einer Diskussion und nicht von einem hohen Thron herab. Behalte das immer im Hinterkopf.